Gestern spät abends stieß ich im Internet auf erste Meldungen über die Sprengung des Baalshamin-Tempels. Er soll am Nachmittag durch eine sehr starke Sprengladung, die im Inneren der Cella gezündet wurde, weitgehend vernichtet worden sein. Die Einschränkung wird verständlich, wenn man das Foto betrachtet, das ich im September 2008 von der Terrasse des Hotels Zenobia aus aufnahm. Man sieht hinter den Menschen die Cella, und links und rechts von ihr einen Teil des Tempelareals, das sich noch wesentlich weiter erstreckte. Die Explosion konnte vermutlich diese übrigen Baufragmente nur teilweise auslöschen.
Mit dieser Tat hat der Islamische Staat sein eigenes Versprechen gebrochen, das er am 27. Mai über Radio Alwan nach der Eroberung von Tadmor gegeben hatte: die antiken Bauten von Palmyra sollten erhalten bleiben. Jetzt scheint es nur noch eine Frage der Zeit zu sein, bis die übrigen Denkmäler, jedes für sich, einem ISIS-Propagandavideo geopfert werden. Denn darin erschöpft sich ihr Nutzen für die Eroberer, die ja bereits das Theater und das Tetrakionion in der Säulenstraße zum Filmset für Genickschuß-Videos reduziert haben.
Die Cella des Baalshamin-Tempels empfand ich als das schönste Gebäude von Palmyra. Ich stehe nun vor der Aufgabe, in meinem Film sowohl diese Schönheit als auch das Verbrechen zu reflektieren, dem sie zum Opfer fiel. Nicht genug damit, muß ich mich auch von der Denkweise distanzieren, mit der die internationale Kulturpublizistik die Ereignisse in Palmyra wahrnimmt und kommentiert. Es ist ein Zeichen unserer gebildeten Barbarei, immer nur dann von diesem unfaßbaren Krieg berührt zu werden, wenn materielle Kulturgüter oder eine Kulturpersönlichkeit vernichtet werden.
ISIS hat unsere Kultur längst in seine Waffe verwandelt. Der syrisch-irakische Krieg findet über das Internet schon bei uns statt. Wir sind aber noch nicht bereit, zu neuen Waffen zu greifen und den Kampf um die jungen Köpfe aufzunehmen, die unter uns leben, und die vom ISIS in den Vernichtungskrieg gelockt werden. Palmyra liegt nicht mehr in Syrien, sondern im Islamischen Staat. Nichts deutet darauf hin, daß die Menschen, die jetzt dort als Gefangene leben, militärisch zu befreien sind. Wir müssen endlich damit beginnen, ISIS geistig zu bekämpfen.