Wir haben den Schnitt von »Palmyra« beendet

tayser

 

Die erste Tonfassung des Films steht. Es fehlt nur noch die Musikspur, an der Daniel arbeitet. Dann ist »Palmyra« vorführbereit für die Programmkinos. Er ist genau 90 Minuten lang geworden. Wir planen die Premiere in Frankfurt am Main für Ende November. Jetzt müssen noch die Werbematerialien – Website, Trailer, Plakat, Flyer – erstellt und natürlich die ersten Kinobesitzer kontaktiert werden. Es wird ein persönliches Abenteuer mit offenem Ausgang: Niemand weiß, ob das, was wir guten Gewissens präsentieren können,                                         auch wirklich Menschen findet, die es sehen wollen.

Das Drehbuch für »Palmyra« ist geschrieben

Jetzt kann mit dem Schnitt begonnen werden. Als ich im Februar zu dem Projekt
vom Sommer 2008 zurückkehrte und die acht Stunden Videofilm, die ich in Palmyra gedreht hatte,
auf den Rechner überspielte, wollte ich noch den ursprünglichen Plan verwirklichen und
meine persönliche Erfahrung einer Landschaft gestalten, die mich tief durch eine bizarre Gegenwart
von Vergangenheit beeindruckt hatte. Ich wollte Palmyra als eine Oase porträtieren, in der arme Syrer
von antiken Ruinen leben, die die Kraft besitzen, ihnen europäische Touristen zuzuführen.

Natürlich hatte ich in den vergangenen Jahren die Literatur über Palmyra gelesen, so weit
ich sie neu oder antiquarisch finden konnte; dazu Stiche und Fotos gesammelt, mit denen
sich meine Momentaufnahmen in die Tiefe der Zeit verlängern lassen.
Aber der 20. Mai änderte alles.

An diesem Tag eroberten Kämpfer von ISIS die Stadt Tadmor und errichteten dort eine
Gewaltherrschaft, der viele unschuldige Menschen und einige Tempel und Grabtürme von
Palmyra zum Opfer fielen. Wie konnte ich da noch einen Film machen, dessen Akteure vielleicht
irgendwo im Flüchtlingsstrom trieben und dessen Hauptmotive gesprengt waren?

Das Drehbuch, von dem ich nun ausgehe, reagiert auf die jüngste Geschichte, indem es an ihr
einen Kulturbegriff testet, der nicht mehr vom Besitz irgendwelcher materiellen Kulturgüter ausgeht.
Die radikalen Islamisten haben ja völlig recht, wenn sie uns vorwerfen, daß unser Wertesystem
ausgehöhlt ist und wir nur in Worten noch eine christliche Kultur besitzen, an deren geistiges und
ethisches Zentrum, den auferstandenen Gottessohn, die meisten von uns nicht glauben können.

Wenn aber nicht das Christentum unser Handeln begründet, was dann? Die Vernunft etwa,
die seit der französischen Aufklärung eine vielfarbige ideologische Karriere durchlebt hat?
Ich glaube, wir müssen bescheidener werden und zu Kategorien der Menschlichkeit zurückfinden,
die so elementar und universal sind, daß sie keinerlei Herrschaftsform rechtfertigen. Macht und
Machtausübung sollten nur konkret verhandelt, nie weltanschaulich legitimiert werden.

Mein Filmessay kann die ernsten Fragen, die der gegenwärtige Kulturkrieg aufwirft, nicht
behandeln. Aber ich habe sie seit diesem Mai im Hinterkopf, und ich möchte den Film so
gestalten, daß sie seinem Zuschauer beim Verlassen des Kinosaals selbst kommen.

Das Portal des Bel-Tempels

Es steht noch, das große, gut 15 Meter hohe Portal, das asymmetrisch in die westliche Säulenfront des Bel-Tempels integriert war. Die Satellitenaufnahme hatte aus dem Weltall seinen Schatten registriert. Jetzt veröffentlichte ISIS in der neuen Ausgabe seines Propagandamagazins ein kleines Foto, das nach der Sprengung der Cella aufgenommen worden war. Im Trümmerhaufen der großen Steinquader, die einmal die Tempelwände bildeten, steht das fast unbeschädigte Tor. Man möchte fast meinen, daß dies beabsichtigt ist. Sollten hier künftig noch einmal Menschen hindurchgehen, träten sie nicht mehr in einen Bedeutungsraum, sondern ins Leere.

Als der französische Zeichner Cassas im Mai 1785 nach Palmyra kam, wurde er vom Scheich der Araber in einer Hütte im Tempelbezirk einquartiert. Hier zeichnete er das gleiche Portal, um es später, für die Veröffentlichung in seiner „Malerischen Reise durch Syrien (…)“, mit aufgeregten Arabern zu beleben. Die Radierung erschien erst 1798, das ganze Tafelwerk blieb unvollendet. Sein adliger Mäzen war nach Petersburg geflohen, die Revolutionäre hatten das Werk noch gefördert, aber Napoleon entzog ihm die Subvention. Die Staatsgelder flossen nun in die „Beschreibung Ägyptens“, das wissenschaftliche Propagandawerk, das sein Kriegsdesaster nachträglich legitimierte, indem es die untergegangene Kultur Ägyptens hochprofessionell wiederauferstehen ließ.

Was liegt zwischen diesen beiden Bildern? Eine ganze Epoche, die vom Aufstieg der Archäologie als Wissenschaft handelt. Cassas gestaltete mit fiktiven Details nur eine romantische Ruinenerzählung, die nichts von der erdrückenden Gewalt des Portals in sich aufnahm. Das große zweibändige Werk, das französische Archäologen 1975 als Summe ihres Wissens über den Bel-Tempel vorlegten und das nun von ihm übrig bleibt, entdeckte dann die Funktion jedes einzelnen Steins am Bau, verlor aber völlig die Macht aus dem Blick, die ihn aufgeführt hatte und die noch bis zu seiner Zerstörung vor Ort zu spüren war. Und nun dieses Propagandafoto des nackten Portals. Wie sollen wir je wieder den Begriff „Kulturbesitz“ auf etwas anwenden, das uns nur hypothetisch, nur im Erkenntnisraum der Wissenschaften gehört?

Das Satellitenbild des zerstörten Bel-Tempels

Vor zwei Tagen, am Sonntagnachmittag, hat ISIS die Zerstörung von Palmyra mit der Sprengung des Bel-Tempels fortgesetzt. Das Satellitenfoto von gestern, das heute in westlichen Internetmedien veröffentlicht wurde, ist auf den ersten Blick nur ein technisches Beweisbild. Es zeigt den 200 x 200 m großen Tempelbezirk mit dem intakten Gästehaus der Archäologen in der rechten oberen Ecke und einer Erhebung in der Bildmitte, die einen u-förmigen Schatten wirft. Dieses Objekt ist das gigantische, schon lange freistehende Säulentor, durch das man als kleiner Mensch ging, um in den hohen Cella-Raum des Heiligtums zu treten. Die Cella ist nun samt der Säulen, die vor ihrer oberen Längswand standen, zu einem Trümmerfeld zusammengesprengt, das vom Weltall aus gesehen nur noch sanft gewellte Schatten wirft.

Auf den zweiten, den medienbewußten Blick erinnert dieses Abschiedsbild vom Bel-Tempel aber sehr an ein anderes, an den großen Grundriß des Tempels in Robert Woods „Ruins of Palmyra“ von 1753. Die Radierung war der erste Versuch, die Größe und den unglaublich guten Erhaltungszustand des antiken Bauwerks für ein gebildetes westliches Publikum visuell zu verwerten. Aus ihr und den vielen anderen Tafeln des Prachtbandes speiste sich die schnell wachsende Begeisterung für Palmyra. Man erkennt deutlich die beiden dickeren Säulen, die nun im Satellitenfoto übrig geblieben sind. Und beiläufig kann man noch feststellen, daß der Stecher sie spiegelverkehrt nach links versetzt hat. Vermutlich ein Irrtum beim Übertragen der Zeichnung auf die Druckplatte.

Das erste und das letzte Bild des Tempels, 1753 und 2015, Kunstbuchradierung und Satellitenfoto. In beiden Fällen handelt es sich um die geistige Inbesitznahme eines Bauwerks in der syrischen Wüste mit den jeweils fortschrittlichsten Beschreibungstechniken. Beide Bilder verschweigen die Komplexität der fremden Wirklichkeit. Die Grundrißzeichnung zeigt nicht die zahlreichen Lehmhütten der arabischen Bewohner des Tempelbezirks, und die digitale Aufnahme der Überwachungskamera gibt indirekt zu, daß wir hilflos auf einen Satelliten angewiesen sind, um uns ein unscharfes Bild von der Kriegsrealität zu machen. Beide Bilder sind Zeugen einer Aneignungskultur, die von „Weltkulturerbe“ spricht, wenn sie doch nur unsere Bildungsgüter und unseren Tourismus meint.

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